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In Corona veritas – warum die Corona-Krise auch eine Krise für Frauen ist

Die Corona Pandemie wirkt wie ein BRENNGLAS. So wie wir den den Ausdruck «in vino veritas» damit verbinden, dass das Trinken von Alkohol vermeintlich die Zunge löst und wir damit Dinge sagen, die wir uns sonst vielleicht nicht zu sagen trauen, so deckt – so meine These – die Corona Pandemie Dinge auf, die wir teilweise vielleicht schon wussten oder vermuteten, die aber nun mit einer Heftigkeit an die Oberfläche gespült werden, dass ein Wegschauen oder Wegdrücken schwierig bis unmöglich wird. Vielleicht war dies aber auch noch nie sinnvoll? Welche «WAHRHEITEN» zeigen sich unter diesem Brennglas?

Pure Zahlen und die Wahrheiten dahinter

In China wurde das Virus erstmals offiziell im Dezember 2019 entdeckt und In Europa leben wir jetzt seit knapp 5 Monaten mit ihm und seinen Folgen. Das sind erst 5 Monate und doch fühlt es sich an wie eine Ewigkeit. Wir haben uns in der Schweiz mittlerweile an Masken im ÖV gewöhnt, auch die Bilder der Politiker im Fernsehen mit ihren schwarzen oder weissen Masken gehören zum Alltag. Fussballspiele oder Fernsehshows ohne Publikum sind nichts Ungewöhnliches mehr, ganz zu schweigen von den täglichen Video- Calls mit den Kollegen oder Kolleginnen.

Wenn ich mal annehme, dass die aktuellen Zahlen des SRF stimmen, dann sprechen wir derzeit weltweit von 14’500’000 Menschen (Stand 20 Juli), die sich mit dem Virus angesteckt haben, davon circa 2.5 Mio. in Europa. Es gibt bereits mehr als 606’000 Todesfälle weltweit und davon 200.000 in Europa. Um dies einmal ein wenig anschaulicher zu machen: Zweimal die Einwohnerzahl der Schweiz sind oder waren infiziert, und eine Stadt so gross wie Zürich ist an den Folgen des Virus gestorben. Die Zahlen sind ein Zwischenbericht und beim Lesen schon nicht mehr aktuell.
Aber was hat der Corona Virus gesellschaftlich aufgedeckt? Eine Perspektive, die es sich lohnt zu erforschen…
Was sicher wahr ist, ist dass es weltweit und auch innerhalb Europas starke Unterschiede im Umgang mit der Pandemie und der Bewältigung ihrer Auswirkungen gab und gibt. Dies verwundert sicher nicht, denn natürlich hat dies mit dem Ausbau und Standard des Gesundheitssystems zu tun und mit der Finanzkraft der jeweiligen Länder. Die Gelder, die in der Schweiz oder auch Deutschland in die Wirtschaft und an die jeweiligen Einwohner geflossen sind, waren weltweit sicher einmalig. Spannend, aber auch gut begründbar, ist die offensichtlich gute Krisenbewältigung der Länder Taiwan und Südkorea. Diese beiden Länder sind pandemieerfahren und haben aus den jeweiligen Situationen gelernt, um eine gewisse Resilienz aufzubauen. So schreibt das IWF in Kiel: «Taiwan und Südkorea hatten nach ihren Erfahrungen mit den Viruskrankheiten SARS 2002/2003 bzw. MERS 2015 ihre Behörden zur Krisenbekämpfung reformiert und nun zur Bekämpfung von Covid-19 mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattet. So konnten die Behörden rasch zentral gesteuerte, effektive Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Krise ergreifen und diese zwischen Ministerien, öffentlichen Einrichtungen, Krankenhäusern, Unternehmen und der Öffentlichkeit koordinieren.»

Es gäbe viele andere Aspekte und deren aufgedeckten Wahrheiten zu beleuchten, aber mich interessiert im Zusammenhang mit FEMALE SHIFT natürlich vor allem der Aspekt der Frau und der Gesellschaft und die vermeintlichen Wahrheiten in diesem Zusammenhang.

Frauen in der Corona Krise

In Corona veritas! Also, was hat die Corona Pandemie in Bezug auf Frauen gezeigt – deren Rolle und Realitäten in der Gesellschaft, Wirtschaft, Familie?

Zunächst ein Blick zu den ganz existentiellen gesundheitlichen Folgen: «Frauen sterben seltener an der neuartigen Coronavirus-Erkrankung und bei ihnen treten weniger Komplikationen auf als bei Männern. Ein ähnliches Muster war bei den SARS- und MERS-Ausbrüchen zu beobachten. Doch über die Gründe ist bisher nur wenig bekannt.» (so die Firma Roche)
Obwohl sie der Infektion stärker ausgesetzt sind als Männer, da sie prozentual zum Beispiel mit höherem Anteil in den systemrelevanten Berufen wie Pflege, Einzelhandel etc. arbeiten, zeigen die Daten, dass Frauen weniger häufig an der Krankheit sterben.
In einer Studie von Roche zeigten sich den Daten zufolge, dass in Italien 70% der Todesfälle durch COVID-19 bei Männern auftraten (Stand: 26. März 2020). Die Sterblichkeitsrate von Männern ist in anderen Ländern ebenfalls höher. Die Zahlen schwanken zwischen 53% in Südkorea bis hin zu 72% in Spanien der intensivmedizinisch behandelten Fälle Männer. Die Gründe werden derzeit erforscht. Ersten Vermutungen nach, scheint die WAHRHEIT im unterschiedlichen Immunsystem oder auch dem Hormonhaushalt von Männern und Frauen zu liegen, denn diese gehen unterschiedlich mit dem Virus um.

«Veritas» der Corona Krise ist aber auch, dass Frauen strukturell mehr gelitten haben und (immer noch) leiden als Männer. Ein Blick auf die Ausführungen der UN Deutschland zeigt: Frauen haben wirtschaftlich, sexuell gewaltbedingt in Familien und gesundheitlich Nachteile in Kauf nehmen müssen und tun dies immer noch.

Um mal die wirtschaftlichen Nachteile gemäss dieser Studie aufzugreifen: (Auszug aus der Studie)

  • Die Pflege von Familienmitgliedern und die Kinderbetreuung übernehmen meist Frauen. Während dieser Zeit können die betroffenen Frauen nicht mehr in vollem Umfang einer bezahlten Arbeit nachgehen, was unmittelbar und langfristig erhebliche ökonomische Konsequenzen haben kann.
  • Die ersten Entlassungswellen wegen der COVID-19 Pandemie betrafen vor allem Sektoren, in denen Frauen überrepräsentiert sind, wie Einzelhandel, Gastgewerbe und Tourismus. Nach Pandemien und Krisen brauchen Frauen meist erheblich länger als Männer, um in Erwerbstätigkeit zurückzufinden.
  • Frauen arbeiten weltweit zu einem großen Teil im informellen Sektor und in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Sie sind deshalb häufig nicht krankenversichert und können einen Verdienstausfall nicht abfedern. So können sie nicht mehr für sich und ihre Familie aufkommen.
  • Selbst wenn Schulen und Arbeitsplätze nicht geschlossen sind, wird es für viele Frauen immer schwieriger ihre Pflegebürde und Bildung/ Beruf zu vereinen – mit erheblichen finanziellen Langzeitfolgen: Die Erfahrung zeigt, dass Pandemien das Armutsrisiko für Frauen erheblich steigern.

Hier gibt es Handlungsbedarf und bereits bekannte «Wahrheiten» wurden durch die Krise nur weiter an die Oberfläche gespült.
Politik und Wirtschaft sind hier gefordert (aber auch jede einzelne Frau!), sich in der Auseinandersetzung mit dem Partner oder der/dem Vorgesetzten und KollegInnen nicht von alten Kulturmustern und Normen die «Butter vom Brot» nehmen zu lassen.

Krise als Chance für Frauen

Krise ist aber immer auch eine Chance. Wir kennen diesen Satz. Und wenn wir dem Entwicklungspsychologen Erik Erkison folgen, der KRISE als entwicklungsspezifischen Übergang zwischen zwei Zuständen erklärt, dann bekommt die Corona-Krise zum Schluss meiner Gedanken vielleicht noch eine spannende Ergänzung.
Wenn wir diesen Gedanken also mal weiterverfolgen, dann zeigt sich auch, dass einige Frauen im Leadership der jeweiligen Staaten einen anderen Führungsstil gezeigt haben und damit vermeintlich besser die Krise für ihr Land bewältigt haben. So schreibt die NEW YORK TIMES im Mai im Artikel «Why Are Women-Led Nations Doing Better With Covid-19?» auf die Frage, warum Frauen es «besser» gemacht haben: “What we learned with Covid is that, actually, a different kind of leader can be very beneficial,” (….)“Perhaps people will learn to recognize and value risk averse, caring and thoughtful leaders.” Und kommt dann zum Schluss: “A new leadership style offers promise for a new era of global threats.»
Zeigt sich hier also eine Wahrheit, dass Frauen die besseren Leader sind? Aus meiner Sicht ist dies zu kurz gedacht, denn erstens ist diese Aussage zu pauschal und zweitens zu geschlechtsspezifisch. Es ist aber durchaus lohnenswert sich mit der Frage zu beschäftigen, welche vielleicht weiblichen Aspekte der Führung zum Tragen kamen und kein Widerspruch zu den männlichen sind, sondern eine kontextbezogene sinnvolle gleichberechtigte Daseinsberechtigung haben und vor allem erfolgsversprechend sind. Und inwieweit es Männer ggf. schwerer haben, ihre weiblichen Aspekte in der Führung zu zeigen, da sie als Mann noch mehr die geschlechtsspezifischen Erwartungen an maskuline Führung erfüllen wollen (oder müssen?).

Was ist nun der Kontext? Der Kontext war und ist hohe Dynamik, hohe Unsicherheit, wenig Erfahrungswissen, hohe Komplexität. Es hat sich an der Führung von Bundeskanzerlin Angela Merkel oder auch der immer wieder zitierten Neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern gezeigt, dass risikoscheue, fürsorgliche und umsichtige Führungspersönlichkeiten in solchen Kontexten «besser» sind. Und sie waren demütig genug, um sich sehr divers beraten zu lassen. Ich empfehle hier den Artikel der NY Times: https://www.nytimes.com/2020/05/15/world/coronavirus-women-leaders.html).
Die These des Artikels ist, dass Frauen sich leichter tun, diese eher weiblichen Aspekte in Ergänzung ihrer auch männlichen Führungsqualitäten wie Durchsetzung und Fokus zu leben, da sie geschlechtsspezifische Erwartungen nicht erfüllen «mussten».

Männliche Führungskräfte können natürlich geschlechtsspezifische Erwartungen überwinden, und viele haben das auch getan. Aber für Frauen kann es politisch weniger kostspielig sein, dies zu tun, weil sie nicht gegen die wahrgenommenen Geschlechternormen verstoßen müssen, um eine vorsichtige, defensive Politik zu betreiben (so die NEW YORK TIMES).
Warum ist diese «WAHRHEIT» nun so relevant? Weil wir nicht nur während der Corona Krise in dieser komplexen, unsicheren und hoch dynamischen Welt leben, sondern seit Jahren zunehmend die Welt so erleben. Folglich kann und wird dieser Führungsstil in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft immer wertvoller. Hier steckt eine Chance für Frauen und Männer die verkrusteten maskulinen Führungsstile endgültig ad absurdum zu führen.

In Corona vertitas! Lassen sie uns gemeinsam hinschauen – also Veränderungen wahrnehmen – und unseren Teil der Verantwortung tragen und aus diesen «Wahrheiten» Lehren ziehen, um daraus für die Gegenwart und Zukunft zu lernen.
Damit wir nicht morgen mit einem Kater aufwachen, um beim Bild von «in vino vertitas» zu enden, sondern die «Wahrheiten» als Aufforderung zum Handeln verstehen.

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